Vor zwei Wochen bin ich über die Keynote des Patreon-Gründers Jack Conte gestolpert, die er auf der diesjährigen SXSW gehalten hat. Ich und meine sonntägliche Aufmerksamkeitsspanne waren von dem 45-minütigem Vortrag erst abgeschreckt, aber allein der Titel hat es in sich: „The Death of the Follower & the Future of Creativity on the Web“. Dieses Video bekommt hiermit eine wärmste Empfehlung – wer aber gerade nicht so viel Zeit hat oder sich erstmal ins Thema einlesen will, wird hier fündig.
Mit meinem Jahrgang von 1994 gehöre ich zu den späten Millenials. Meine ersten Berührungspunkte mit dem Internet hatte ich im Grundschulalter, wenn ich manchmal meine Mutter mit auf die Arbeit begleitet habe. Damals hat sie in der Erwachsenenbildung im EDV-Bereich gearbeitet – also gab es immer einen freien Rechner mit Internetzugang, vor den sie mich setzen konnte. Ich habe damals auf einer Seite von Warner Brothers kleine Minispiele mit Harry Potter- oder Looney Tunes-Bezug gespielt.
Wäre ich ein paar Jahre älter gewesen, hätte ich mir Nachrichtenseiten oder die ersten händisch programmierten Blogs durchlesen können. Und das war das sogenannten Web 1.0. Nutzer hatten durch den read only Ansatz lediglich die Möglichkeit Inhalte und Content im klassischen Sinne zu konsumieren, eigene Inhalte online zu stellen, erforderte spezialisierte und technische Kenntnisse.
Das Web 2.0 und Jacks Geschichte
Mit der Entwicklung des Web 2.0 änderte sich diese Nutzung grundlegend: Plattformen wie Facebook, YouTube oder SoundCloud machten es nicht nur möglich – sonder vor allem einfach – selbst Inhalte zu posten. In der Keynote erzählt Jack von der Erfahrung, wie er nach vielen sehr erfolglosen Solokonzerten schließlich ein erstes Video auf YouTube hochgeladen hat. Seine Musik und Arbeitsweise mit der Welt geteilt hat. Plötzlich eine viel – viel – größere Masse an Menschen erreichen konnte. Aber das wirkliche Wunder erklärt er wie folgt:
„That’s what I mean, when I say, that the subscibe-Button is not a silly feature. The concept of a follow changed my live – it made my dreams come true as an artist. It took me from playing empty bars to living my fantasies as a musician. The follow is a piece of internet-architecture that felt closer to magic, than anything I had ever experience in my life.“
Jack Conte – SXSW 2024
Mit einem Abonnement konnte man erstmalig Künstler*innen, die ihre Arbeit teilten, ganz konkret und gezielt Aufmerksamkeit und Interesse zeigen. Sie daran erinnern „Hey, ich mag, was Du machst. Ich will mehr davon sehen.“ Jack erzählt von dem wachsenden, und völlig unerwarteten, Erfolg, den er und seine heutige Ehefrau mit ihrer Band Pomplamoose erlebten und mit welchen kreativen Maßnahmen sie ihren Fans ganz besondere Erfahrungen schenken wollten.
Im Jahr 2008 veröffentlichte Kevin Kelly den beinahe revolutionären Aufsatz „1,000 True Fans“, auf den ich in einem weiteren Blogbeitrag noch näher eingehen werden. Der neue Gedanke war eigentlich ganz einfach: Du brauchst als Künstler*in keine Millionen von Fans, um von Deiner Arbeit leben zu können. Wenn nur ein kleiner Teil, vielleicht eben nur 1.000 Menschen, zu sogenannten Super Fans oder True Fans werden und jeder von ihnen gewillt ist, 100$ im Jahr für Deine Kunst auszugeben, dann spielst Du schon 100.000 $ im Jahr ein – ein gutes Mittelklasse-Einkommen.
Natürlich lässt sich diese Rechnung nicht 1:1 übernehmen, aber dennoch hat dieser heute noch viel zitierte Aufsatz den Grundstein für die Creator Economy gelegt, wie wir sie heute kennen. Und es sind nicht nur Künstler*innen, die sich dieses Modell zu nutze machen: Fast jedes Interesse, Hobby oder Tätigkeit findet im Internet seine Nische. Und damit auch Menschen, die damit ihr Geld verdienen.
„Der Tod des Followers“
Wie schön wäre es, wenn wir hier ein „und alle lebten glücklich und zufrieden“ einfügen könnte. Aber 2010 startet Facebook mit dem sogenannten „Ranking“ – der Algorithmus, wie wir ihn heute nennen. Es ist nicht mehr garantiert, dass meine Follower meine Inhalte im Feed ausgespielt bekommen. Jeder Beitrag, jeder Post wird bei der Zielgruppe ausgetestet. Performt er zu schlecht, versinkt er im Nichts. Als Creator bedeutet das Following also keine direkte Verbindung mehr zum Fan und dazu kommt die Konkurrenz: meine Inhalte müssen besser sein, als die der Anderen.
Das Feed-Design orientiert sich an einer grundlegenden Frage: Soll die Verbindung zwischen Creator und Follower gestärkt werden oder soll die Watchtime erhöht werden? Für die Tech-Firmen steht diese Frage vor einem gänzlich anderen Geschäftsmodell, als das ihrer Nutzer. Wer mit Werbeanzeigen sein Geld verdient, der muss Aufmerksamkeit generieren. Das kennen wir ja auch aus dem Privatfernsehen. Conte ruft die 2010er Jahre daher als The Decade of Ranking aus.
Der letzte Todesstoß, wenn man so drastisch sein will, war dann der Aufstieg von TikTok. Hier können Creator zwar Follower generieren, aber der Fokus liegt eigentlich – und ganz klar – auf dem „For You“-Feed. Also gezielt auf Inhalten von Creatorn, die Du als Nutzer (noch) nicht kennst.
Echte Verbindung über gerankte Watchtime
Jack Conte ist Mitbegründer von Patreon, einer Plattform, die einen neuen Rahmen für Creator und ihre Fans schafft: ein bezahltes Abonnement wird mit exklusiven Bonusinhalten belohnt. In der Keynote teilt Conte die Entwicklung und geplanten Neuerung der Plattform, daneben zeigt er aber auch auf, dass heute immer mehr Unternehmen und Plattformen (Kajabi, Discord, Patreon, etc.) sich wieder vermehrt um die Tiefe und Stärke von Fan-Beziehungen kümmern. Das wird, so Conte, auch der strategische Fokus der Creator in den 20er Jahren.
Was Creator jetzt schon dafür tun können:
- Invest in your true fans (Tiefe und Qualität – auch außerhalb von Social Media)
- Make beautiful things, that you care about (trau dich, Neues auszuprobieren – auch wenn der algorithmus dir tagtäglich was anderes beibringen will)
- Know what you want (DU als Kreativ*er, nicht als Teil des Algorithmus)
„Do not forget what matters to you as an artist. Do not forget what fills you with pride to make. Do not forget your purpose for making things in the first place. Don’t forget why you wake up in the morning and devote your time and your energy to your craft. Don’t forget, what gives you a sense of meaning.“
Jack Conte – SXSW 2024
Eigene Meinung
Contes Keynote ist ein wilder – aber gut durchdachter – Ritt durch die Entwicklung der Creator Economy. Dazu beweist er sich als Meister des Storytellings – allein dafür ist es wert, das Video anzuschauen. Für Newbies im theoretischen Überbau der Creator Economy bietet er einen guten Überblick und gleichzeitig einen optimistischen Ausblick für all die Creator und Künstler*innen, die sich über „den Algrorithmus“ beschweren.
Und nein, man darf Social Media Plattformen nicht verteufeln und komplett boykottieren. Immerhin ist dieser Kanal für die meisten Nutzer die Möglichkeit zum Erstkontakt und Kennenlernen eines Creators. Aber man sollte sie eben auch nicht als das Maß aller (kreativen) Dinge sehen oder isoliert nutzen. Kunst und Kreativität können gemeinsam mit einer strategischen Ausrichtung sowohl auf Social Media zu Entfaltung kommen, als auch auf anderen Kanälen und Plattformen starke und nachhaltige Beziehungen zu Followern und Fans herstellen.
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